Marketing Attribution: Die Kunst der richtigen Zuschreibung
Es ist eine der Gretchenfragen im Marketing:
Worauf können wir diese Conversion/Lead/Bestellung zurückführen? Und wenn wir die Ursache gefunden haben: Was müssen wir tun, um mehr davon zu bekommen?
Die Beantwortung der Frage ist oft unangenehm. Denn Attribution kann darüber bestimmen, welches Team ausgebaut wird oder ob eine Demand Generation oder Demand Capture Strategie im Fokus steht.
Kurzum: Attribution weitreichende Konsequenzen, die das gesamte Unternehmen betreffen.
Warum ist Marketing Attribution so wichtig?
Attribution entscheidet nicht nur über Budgets, sondern auch über Investments in einzelne Marketingfunktionen und Menschen, welche diese Funktionen ausüben.
- Welchen Kanal können wir skalieren/stoppen?
- Was ist unser bester Performance Marketing Kanal?
- Wie viel Budget investieren wir in LinkedIn Ads vs. Google Ads?
- Brauchen wir Brand Marketing überhaupt, wenn daraus keine Conversions entstehen?
Die korrekte Zuschreibung von Ursachen kann darüber bestimmen, ob ein Unternehmen floriert oder untergeht.
Ein Beispiel aus der Praxis
Ein Startup verfügt über ein Marketing-Budget von CHF 250’000 im Jahr. Das Marketing-Team testet einige Marketing-Kanäle und kommt zum Schluss, dass Facebook Ads am “besten konvertieren”.
Das Team beschliesst deshalb, alle anderen Kanäle zu pausieren und nur noch auf Facebook zu setzen. Mit mehr Budget steigt die Performance kurzfristig an. Doch nach einigen Monaten stösst das Team gegen eine gläserne Decke. Die Klickpreise steigen, aber es werden nur marginal mehr Klicks und Conversions generiert.
Neue Creatives werden getestet, die Agentur wird ausgetauscht, das Budget nochmals erhöht. Doch die gläserne Decke lässt sich nicht durchbrechen. Ein halbes Jahr später wird der Head of Marketing entlassen.
War die Performance nun wirklich so schlecht, oder hat sich das Team von mangelhafter Attribution in die Irre führen lassen?
Woher stammt der Begriff Attribution überhaupt?
Attribution, lateinisch attribuere, bedeutet so viel wie zuteilen oder zuschreiben. Attributionstheorien haben ihren Ursprung in der Gestaltpsychologie. Diese psychologische Schule befasst sich mit der Ursachenforschung bestimmter Verhaltensweisen beim Menschen.
Bei Marketing Attribution geht es hingegen darum, wie und warum ein Kauf getätigt wurde:
With so many variables impacting a sale, it can be difficult to determine which interaction, campaign, or channel was the prime contributor that led to that conversion — especially if you have data only about the purchase itself.
Marketing attribution gives marketers deeper visibility into which channels are most effective in driving conversions, which also helps maximize ROI. Attribution lets your team build a holistic picture of the entire customer path to purchase, from first contact through conversion.
Was in der Theorie leicht klingt, ist gemäss unserer Praxis als Partner für Growth Marketing meist sehr anspruchsvoll.
Welche Arten von Attribution gibt es im Marketing?
Grundsätzlich kann zwischen regelbasierter und algorithmischer Attribution unterschieden werden.
Regelbasierte Attributionssysteme
Single-Source-Attribution-Modelle ordnen eine Conversion vollständig einem einzelnen Touchpoint in der Customer Journey zu. Obwohl es möglicherweise mehrere Berührungspunkte gab, ist das Modell diesen gegenüber “blind”. Zu Single-Touch Attribution zählen First- und Last-touch Modelle.
Multi-Source Modelle (auch Multi-Touch Attribution oder kurz MTA genannt) hingegen ziehen mehrere Berührungspunkte der Buyer Journey in Betracht und ordnen einzelnen Touchpoints bestimmte Werte zu. Typische MTA-Vertreter sind lineare, time decay, U-Shape, W-Shape.
Google hat im Juni 2023, bis auf Last-click, alle regelbasierten Attributionsmodelle eingestellt:
Rules-based attribution models assign value to each advertising touchpoint based on predefined rules. These models don’t provide the flexibility needed to adapt to evolving consumer journeys.
Single-Source Attribution: Modelle im Überblick
Last-touch Attribution
Vermutlich am häufigsten im digitalen Marketing verwendet, schreibt Last-touch- oder auch Last click Attribution genannt, jeweils nur der letzten Interaktion einen Wert zu.
Google Ads verfügt beispielsweise über solch ein Modell (unter dem kryptischen Name Last non-direct click) und auch Meta bietet diese Art von Klick-Zuordnung. Das LinkedIn Attributionsmodell funktioniert ausschliesslich mit Last-touch (alles Stand Dezember 2024).
Last-touch Attribution lässt sich am besten mit dem Stürmer vergleichen, der beim Fussball das Tor schiesst. Die durch das Team geleistete Vorarbeit hat in diesem Fall keinen Wert.
Vorteile von Last-touch Attribution:
- Einfach zu messen
- Einfach zu verstehen
- Standardmässig verfügbar in vielen Tools und Ad Manager Plattformen
- Etabliert und hohe Akzeptanz in Unternehmen
Nachteile von Last-touch Attribution:
- Reduktionistisch
- Ignoriert den Rest der Customer Journey
- Fördert Kurzfrist-Denken und Fokus auf Performance Marketing
First-touch Attribution
Bei First-touch Modellen wird 100% der Conversion dem ersten Berührungspunkt, z.B. dem Klick auf eine Werbeanzeige, zugeordnet. Alles danach wird vom Modell ignoriert. First-click Modelle wurden bei Google mittlerweile abgeschafft, Meta bietet nach wie vor die Möglichkeit, auf den ersten Klick zuzuordnen (Stand: Dezember 2024).
In unserer Fussball Analogie würde der Treffer dem Torhüter zugeschrieben werden, der das Tor initiiert hat.
Vorteile von First-touch Attribution:
- Top-of-Funnel orientiert
- Kann Aufschluss über das “ursprüngliche Interesse” von Nutzern geben
- Möglicherweise bei kurzen Sales Cycles und einfachen Produkten ausreichend
Nachteile von First-touch Attribution:
- Simplistisch
- Ignoriert alle weiteren Berührungspunkte bis zur Conversion
- Wenig Aussagekraft in komplexen Customer Journeys mit vielen Touchpoints (Autokauf, Enterprise B2B etc.)
Multi-Source Attribution: Modelle im Überblick
Lineare Attribution
Gewichtet einzelne Berührungspunkten in der Customer Journey gleichmässig. Dieses MTA-Modell berücksichtigt, dass jeder Touchpoint eine Rolle spielt, unterscheidet jedoch nicht unterschiedlich starke Einflüsse. Dieses Modell ist nur noch in Meta verfügbar.
Alle Spieler im Team sind zu gleichen Teilen am Treffer beteiligt.
Vorteile von linearer Attribution:
- Einfach
- Gibt ein vollständigeres Bild wieder
Nachteile von linearer Attribution:
- Nivellierung (ein Durchschnitt)
- Ignoriert einzelne, besonders starke Einflussfaktoren
Time Decay
Time Decay (zu Deutsch so viel wie Zeitverfall) ist ein weiteres Multi-Source Modell, welches zusätzlich den Faktor Zeit berücksichtigt. Berührungspunkten später im Funnel wird ein höherer Wert zugeschrieben, da sie “näher an der Conversion” sind und deshalb eine grössere Wichtigkeit haben sollen.
Beim Fussball ist das realistisch. Alle Spieler tragen ihren Teil zum Tor bei, jedoch leistet der Torschütze den wichtigsten Beitrag.
Vorteile von Time decay Attribution:
- Betont den Einfluss von Conversion-Kanälen (typischerweise PPC)
- Zieht den gesamten (messbaren) Funnel in Betracht
- Berücksichtigt die “Ramp-Up Phase” (typisch für Produkte mit längeren Sales Cycles)
Nachteile von Time decay Attribution:
- Überbetont möglicherweise die letzte Meile (Ball liegt schon fast im Tor)
- Unterschätzt womöglich den Einfluss früherer Interaktionen
U-Shape
Bei diesem, auf Positionierung beruhenden, MTA werden die Vorteile von First- und Last-touch kombiniert. Typischerweise erhalten der erste und letzte Berührungspunkt je 40% des Conversion-Wertes. Die restlichen 20% werden zu gleichen Teilen über die Touchpoints in der Mittel des “Funnels” verteilt.
Vorteile von U-Shape Attribution:
- Berücksichtigt alle Touchpoints
- Betont den Wert von Discovery und finaler Conversion
- Besser geeignet für kurze Customer Journey mit schnellen Conversions
Nachteile von U-Shape Attribution:
- Ungeeignet für längere Sales Cycles mit vielen Interaktionen
- Unterschätzt die “Mitte des Funnels” (MOFU)
W-Shape
Das W-förmige Attributionsmodell ist ein weiteres Multi-Touch-Modell, das den höchsten Wert drei Schlüsselpunkten in der Kundenreise zuschreibt: dem ersten Kontaktpunkt, einem wichtigen Zwischenkontakt in der Mitte und dem letzten Kontaktpunkt.
Vorteile von W-Shape Attribution:
- Berücksichtigt alle messbaren Touchpoints
- Soll besonders B2B Unternehmen mit langen Sales-Cycles ein repräsentatives Bild geben (z.B. B2B Enterprise)
Nachteile von W-Shape Attribution:
- Suggeriert ein (inexistentes) lineares Funnel-Modell
- Macht Annahmen darüber, dass Unternehmen wissen, welche Touchpoints wichtig sind
- Keine Relevanz bei kurzen Sales-Zyklen (B2C)
Algorithmische Attributionssysteme
Machine Learning Attributionsmodelle liefern einen datengetriebenen Ansatz, um den Einfluss von Marketing auf das Kundenverhalten zu messen. Dabei werden fortgeschrittene Algorithmen, statistische Modellierung und Inferenzanalyse eingesetzt, um historische Daten zu analysieren und Muster zu erkennen. Es gibt keine vordefinierten Regeln, die Mustererkennung geschieht dynamisch und wird fortlaufend angepasst. Auch komplexe Customer Journeys können so analysiert werden (Brown 2024, Mastering Marketing Data Science).
Sowohl Google als auch Meta bieten datengesteuerte Modelle zur Attributionsmessung an.
Vorteile von Data-driven Attribution:
- Berücksichtigt alle messbaren Interaktionen plus externe Faktoren
- Gibt Wahrscheinlichkeitswerte für den Einfluss einzelner Touchpoints ab
- Kann On- und Offline Kanäle berücksichtigen
- Funktioniert auf allen Devices
- Respektiert Datenschutz-Restriktionen
- Flexibler als regelbasierte Systeme
Nachteile von Data-driven Attribution:
- “Black Box” - Modellierung (z.B. Markov-Ketten) für Laien schwer verständlich
- Setzt Vertrauen in Algorithmen voraus
- Beruht auf Korrelationsdaten (nicht kausal)
- Benötigt viele Daten
- “Blind” gegenüber Touchpoints, die nicht im jeweiligen Ad Manager System abgebildet sind (z.B. Google Ads Daten in LinkedIn und vice versa)*
- Incentives von Anbietern, “sich selbst” möglichst viele Conversions zu attribuieren (mehr Conversions = mehr Media Spend auf dem Kanal)
*Bemerkung: Dieses Problem lässt sich mit Channel-übergreifenden MTAs wie z.B. Dreamdata lösen
Fazit
Marketing Attribution hilft, Budgets und Ressourcen gezielt einzusetzen, indem sie Conversions den richtigen Kanälen oder Touchpoints zuordnet. Während regelbasierte Modelle wie Last-Touch oder First-Touch einfach und verständlich sind, erfassen sie die gesamte Customer Journey nur unvollständig. Multi-Touch-Modelle bieten ein differenzierteres Bild, sind aber nicht immer präzise genug. Algorithmische Ansätze nutzen Daten und Machine Learning, um ein umfassenderes, aber oft schwer nachvollziehbares Bild zu liefern.
Attribution bleibt jedoch ein Kompromiss, da sie stets nur das abbilden kann, was messbar ist. Unternehmen sollten Attribution daher als Werkzeug verstehen, um die Customer Journey besser zu analysieren und Marketingmassnahmen gezielt zu optimieren.
Für die Messung wahrer Inkrementalität und kausaler Effekte sollten sich Marketer nicht ausschliesslich auf Attributionsmodelle verlassen, sondern z.B. auch Holdout- oder A/B Tests herbeiziehen.
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