B2B Marketing: Was wirklich funktioniert (und was nicht)
Sales-Teams leben von Leads und gieren nach immer mehr. Das ist verständlich, schliesslich hängt ein Teil des Gehalts von der Verkaufsprovision ab. Und je mehr Leads, desto grösser das Potenzial auf einen Abschluss.
Auch Marketing-Teams werden oft an “Upstream”-KPIs wie Anzahl Inbound Leads oder Pipeline Value gemessen und Ende Jahr mit Boni für die Erreichung bestimmter Ziele belohnt.
Man kann Leads verfluchen, verneinen oder wegreden. Am Ende des Tages hilft alles nichts. Leads haben sich als feste Messgrösse im B2B etabliert und sind DIE Proxy-Metrik für Umsatz.
Leadgenerierung in einer perfekten Welt
Optimal wäre es, wenn mehr Leads auch automatisch mehr Umsatz bedeuten würden.
Wir nehmen nun ein realistisches Beispiel zur Hand, um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen:
Wir können dieselben Informationen natürlich auch als Streudiagramm darstellen:
Berechnen wir nun noch den Korrelationskoeffizienten r = 0.67, haben wir es hier mit einer stark positiven Korrelation zwischen Leads und Umsatz zu tun.
Man könnte jetzt voreilig zum Schluss kommen: Mehr Leads → Mehr Umsatz
Gründer riechen bereits den Exit, CFOs drehen den Tresorschlüssel zu mehr Marketing-Budget…
Doch genau hier beginnt das Problem.
Korrelation ≠ Kausalität
Wir können keine Aussage darüber treffen, dass mehr Leads zu mehr Umsatz führen, geschweige denn weshalb. Wir wissen nur, dass möglicherweise ein Zusammenhang zwischen Leads und Umsatz besteht.
Es könnte sich genauso gut um eine Scheinkorrelation handeln.
Womöglich hat das Sales-Team einen neuen Star-Verkäufer bekommen, der mittels Social Selling und komplett ohne Leads Top-Resultate erzielt und den Umsatz somit im Alleingang erhöht.
Das lässt sich natürlich auch auf viele weitere B2B KPIs ausweiten:
- Mehr Klicks von LinkedIn Ads → Mehr Leads
- Mehr Likes auf LinkedIn → Höhere Deal-Abschlusswahrscheinlichkeit
- Weniger Stockpics auf der Website → Mehr Besucher auf der Pricing Page
…
Eine ganze Industrie, von Agenturen bis Software-Anbieter, verspricht mehr Leads auf Knopfdruck und natürlich ist die Leadgenerierung auch immer ganz einfach:
Und auch ich bekenne mich schuldig: Als B2B Marketing Agentur ist es auch Teil meiner Mission mit GrowthBay, für Kunden mehr qualifizierte Anfragen zu generieren. Ganz einfach deshalb, weil das die Währung ist, an der Marketing-Agenturen im B2B gemessen werden.
Halten wir an dieser Stelle somit fest:
→ Regel #1: Wir müssen als B2B Marketer versuchen, Scheinkorrelationen nicht auf den Leim zu gehen
Randbemerkung: Wir tun das andauernd.
Nehmen wir nun mit LinkedIn Ads ein Beispiel genauer unter die Lupe.
LinkedIn Ads als B2B-Leadmaschine - oder vielleicht doch nicht?
Unsere Annahme sieht wie folgt aus:
Wir haben in diesem Fall einen zusätzlichen Faktor (LinkedIn Ad Klicks) und somit eine Kausalkette.
Szenario:
Ein B2B-Unternehmen im Data Security Bereich startet eine neue LinkedIn Ads-Kampagne, die sich an Spezialisten und Entscheidungsträger in der Branche richtet, mit dem Ziel, mehr Leads zu generieren und letztendlich den Umsatz zu steigern. Nach einigen Monaten werden die Kampagnen ausgewertet und folgende Feststellungen gemacht:
- Anstieg der Leads: Die Anzahl der über LinkedIn Ads generierten Leads hat sich im Vergleich zum vorherigen Zeitraum verdreifacht.
- Anstieg des Umsatzes: Der Umsatz ist im gleichen Zeitraum ebenfalls um 25 % gestiegen.
Eine naive Interpretation wäre jetzt zu sagen, dass der Anstieg der Leads aus der LinkedIn Kampagne direkt den Umsatzanstieg verursacht hat (mehr Leads → mehr Verkäufe).
Betrachten wir das Resultat nun etwas skeptischer.
- Das B2B Unternehmen hat zeitgleich eine Google Ads Brand-Kampagne gestartet. Diese Brand Kampagne hat die Visibilität des Unternehmens im Markt stark erhöht. Durch die Brand-Kampagne sind mehr Interessenten auf die Website gekommen und haben ein Angebot angefordert. Zudem hat die Brand-Kampagne verstärkend auf die LinkedIn Ads gewirkt und somit deren Effekt erhöht
- Im selben Zeitraum hat sich die Regulatorik geändert - mehr Firmen müssen auf einmal datenschutzkonform sein. Das spielt unserem B2B Unternehmen in die Karten, da die Software nun häufiger angefragt wird. Unabhängig von der LinkedIn Ads Kampagne steigt die Anzahl Leads an
- Im zweiten Monat des beobachteten Zeitraums ist das Unternehmen von einem Online-Formular auf einen Online-Buchungskalender umgestiegen, mit dem Ziel, die Last-mile Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Diese Änderung allein hat die Conversion-Rate verdoppelt (was auch für die LinkedIn Ads Leads gilt)
Im oben gezeigten System herrscht bereits viel Chaos und die Komplexität hat sich deutlich erhöht.
→ Regel #2: Als B2B Marketer müssen wir immer dann besonders skeptisch sein, wenn mehrere Faktoren gleichzeitig verändert werden
Das Problem mit A/B Tests im B2B Marketing
Um nun wirklich zu verstehen, ob die LinkedIn Ads-Kampagne den Umsatzanstieg verursacht hat (sog. Inferenzschluss), müsste unser Unternehmen ein Experiment, wie beispielsweise einen A/B Test durchführen, bei dem ein Segment der Zielgruppe den LinkedIn Ads ausgesetzt ist, während ein anderes ähnliches Segment nicht erreicht wird. Der Vergleich der Performance dieser Gruppen kann helfen, den Einfluss der LinkedIn Ads auf den Umsatz isoliert zu betrachten.
Bei Ads lässt sich das aufgrund der relativ hohen Anzahl Impressions und Klicks möglicherweise noch bewerkstelligen.
Auf der Website sieht das meist anders aus. Dort sind die Besucherzahlen (N) noch geringer als weiter oben im Funnel. Ich habe in diesem Artikel zu Revenue Marketing genauer darüber geschrieben
Möchten wir z.B. vor dem Rollout testen, ob eine neue Landing Page besser funktioniert, wie die alte Seite, wird es bereits schwierig.
Wir möchten mindestens eine Steigerung der Conversion Rate von 30% nachweisen. Aktuell haben wir 1000 Unique Visitors pro Woche auf unserer Website.
Wir berechnen also die Testdauer für einen A/B Test mit “Standard-Settings” (95% Konfidenzintervall, 80% Power):
Um einen Effekt von 30% nachzuweisen, benötigen wir in diesem Fall 32 Wochen, also knapp 7 Monate.
Kein Wunder also, dass A/B Tests im B2B kaum Bedeutung haben (High Traffic B2B SaaS oder B2B eCom mal aussen vor gelassen).
Und natürlich ist das auch ein grosses Problem für die Leadgenerierung. Wie können wir jetzt Kausalität herleiten?
Optimieren ohne A/B Tests im B2B Marketing
Um weniger im Nebel zu stochern, kann das Unternehmen z.B. folgende Massnahmen ergreifen:
- Attributionsmodellierung: Implementierung eines Multi-Touch-Attributionsmodells, um zu verfolgen, wie einzelne Faktoren (z.B. LinkedIn Ads) in die gesamte Customer Journey passen (also eine Art Faktorenanalyse). Daten aus MTAs können beispielsweise auch sogenannte Predictive Models füttern.
- Qualitätsprüfung der Leads: Hier gehen wir davon aus, dass die Leadqualität einen Einfluss auf die Abschlusswahrscheinlichkeit hat (und dass dieser Zusammenhang robust ist). Es wäre also im Interesse unseres Unternehmens, eine möglichst hohe Leadqualität zu gewährleisten. Passen die Leads aufs ICP? Wie gut erreichbar sind die Anfrager? Wie konvertieren LinkedIn-Leads in Käufer verglichen Google Ads? Lassen sich LinkedIn Leads schneller vom Sales closen, als Leads aus organischem Traffic?
- Alternative Validierungsmethoden: Wenn A/B Testing keine Option darstellt, gibt es diverse andere Methoden, die Rückschlüsse zu ziehen, ohne sich komplett auf das Bauchgefühl oder Bro Science verlassen zu müssen. Beispielsweise kann das Neyman-Rubin Kausalmodell mit Hold-Out Gruppen (temporal/spatial) hilfreich sein.
Eine gute Übersicht zu den verfügbaren Validierungsmethoden bietet z.B. dieser Artikel von Convert:
→ Regel #3: Wer Kausalität wirklich verstehen will, kommt auch im B2B an Datenanalyse und Experimenten nicht vorbei. Es muss jedoch nicht immer ein A/B Test sein
Naive vs. nicht-naive Leadgenerierung
Fassen wir unsere Erkenntnisse in einer übersichtlichen Grafik zusammen:
Unser Ziel sollte es sein, uns vom linken Teil der Tabelle stärker auf die rechte Seite zu bewegen. Das ist auf keinen Fall leicht, aber dringend notwendig, wenn wir nicht nur l'art pour l'art machen möchten, sondern reale Verbesserungen erreichen wollen.
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