Wie man Mental Availability aufbaut - ein Step-by-Step Guide
Mental Availability ist im Marketing ein heisses Thema. Doch was hat es damit auf sich? Ist Mental Availability auch nur eine flüchtige Trenderscheinung wie Demand Creation oder hat die Idee mehr Substanz? Und was ist eigentlich der Unterschied zu Brand Awareness?
In diesem Artikel finden wir heraus, woher der Begriff kommt und ob das Konzept einen Platz im Repertoire eines Growth Marketers verdient hat.
Weshalb ist Mental Availability so wichtig?
Als Growth Marketing Agentur beobachten wir häufig, dass Unternehmen ihr Marketingbudget ausschliesslich in Performance-Marketing investieren. Wenn die Massnahmen gut umgesetzt sind, wachsen Unternehmen kurzfristig dadurch rapide.
Doch dann stossen viele Firmen an eine gläserne Decke und mehr Budget für Paid Ads bedeutet nicht mehr qualifizierte Pipeline oder Deals (der Grenznutzen nimmt ab). Dann setzt meist Ernüchterung oder Rätselraten ein.
Das Problem: Wenn 95% der Kunden in diesem Quartal noch nicht kaufbereit sind (95/5 Regel), gehen Conversion-getriebene Performance Ads komplett an den Kunden vorbei. Diese Ads fokussieren sich lediglich auf die 5% In-Market-Buyers.
Wird hingegen auch in längerfristiges Brand Marketing investiert und gezielt Mental Availability aufgebaut, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen in Kaufsituationen tatsächlich von Kunden erinnert werden. Sind die Erinnerungen positiv, können Deals eher zustande kommen.
Woher stammt das Konzept der Mental Availability?
Der Begriff Mental Availability, zu Deutsch "mentale Verfügbarkeit", hängt stark mit den Arbeiten des Ehrenberg-Bass Institute (EBI) for Marketing Science zusammen. Insbesondere tauchen die Namen Byron Sharp und Jenni Romaniuk häufig im Zusammenhang mit dem Begriff auf. Beide sind Professoren an der University of South Australia, zu der das EBI gehört.
In ihren Büchern How Brands Grow Part 2 und Better Brand Health schreiben sie ausführlich über die Theorie der Mental Availability. Beide Bücher sind lesenswert.
Mental Availability hatte einen Vorläufer, nämlich die sogenannte Brand Salience (Salienz = Auffälligkeit). Das Konzept der Brand Salience ist bereits seit über 20 Jahren bekannt.
"[...] it became apparent that 'brand salience' was too synonymous with Top-of-Mind (TOM) Brand Awareness. This created problems for marketers and researchers [...] Therefore we rebranded this concept as Mental Availability" (Romaniuk, 2023).
Gemäss Romaniuk beschreibt das Konzept die Tendenz, als Brand in Kaufsituationen erinnert zu werden (Romaniuk/ Sharp, 2021). Mental Availability hängt somit direkt mit dem Speichern und Abrufen von Erinnerungen im Gehirn zusammen.
Wie erinnern wir Brands?
Um die Idee der mentalen Verfügbarkeit zu verstehen, müssen wir wissen, wie wir Brands erinnern.
Ohne tief in die Neurowissenschaften einzutauchen, lässt sich die Formierung von Brand-Erinnerungen folgendermassen vereinfacht darstellen:
Abspeicherung
Erinnerungen lassen sich am besten mit einzelnen Knoten (Nodes) in einem Netz darstellen. Jeder Knoten ist eine Art "Konzept".
Ein Konzept könnte z. B. "Kaffee" sein. Mögliche Knoten, die damit verbunden sind, wären z. B. "Arabica" (Sorte), "heiss" (Temperatur) oder "gibt Energie" (Effekt). Diese Knoten haben dann wiederum Unterknoten und können auch untereinander verbunden sein.
So entsteht im Gehirn eine Art assoziatives Netz:
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Verknüpfung
Laufe ich nun morgens an einem Coffee Shop vorbei, fällt mir z. B. folgender Banner auf:
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Das Keyword Espresso löst in mir bestimmte Assoziationen aus, z. B. Energy Boost oder der Wunsch, mich mit Freunden zu treffen. Auf dem Banner wird die Marke "co-präsentiert" mit dem Keyword Espresso. Jeden Morgen "konditioniert" mich ViCAFE auf die Marke - eine klassische Brand-Building-Aktivität. Mit jeder Wiederholung verankert sich die Verknüpfung Espresso → ViCAFE stärker in meinem Gedächtnis. Mit der Zeit wird aus einer feinen Spur im Schnee ein tiefer Graben.
Erinnerung
Die meiste Zeit des Tages treffen wir Entscheidungen schnell, automatisch und reflexartig (vgl. Kahneman - System 1). Haben wir nun ein Nachmittagstief und suchen kurzfristig einen Energie-Kick, analysieren wir nicht jeden Coffee Shop nach rationalen Kriterien, sondern verlassen uns auf Erfahrungswerte und Hinweisreize (Cues), um schnell eine "gut genug"-Entscheidung zu treffen. Hätten wir den Autopiloten System 1 nicht, könnten wir uns nicht durch unseren Alltag bewegen.
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Wurden wir z. B. in einem ViCAFE Shop nett bedient und ist gleich ein Kaffee um die Ecke, ist ViCAFE als Brand möglicherweise salient in unserem Gedächtnis. Wir gehen zu ViCAFE, obwohl möglicherweise fünf weitere, gleich gute (oder sogar bessere) Coffee Shops in der Nähe wären.
Romaniuk bringt es auf den Punkt:
"What we (easily) think of largely determines what we buy." (Romaniuk/Sharp, 2021)
Weshalb sind Brand-Assoziationen so wichtig?
Das Konzept der mentalen Verfügbarkeit ist eng verknüpft mit den sogenannten Category Entry Points (CEPs). Romaniuk definiert CEPs wie folgt:
"The building blocks of mental availability are the Category Entry Points (CEPs) – situations and moments when consumers think of certain products and brands." (Quelle)
CEPs sind also die typischen Nutzungssituationen, in denen Konsumenten an eine Marke denken. Unternehmen sollten daher gezielt die richtigen Assoziationen aufbauen. Dabei geht es nicht nur darum, als erster Brand erinnert zu werden:
[...] if being retrieved is good, being retrieved earlier must be better.; however, the biggest barrier to a brand being bought is being thought of in the first place, not first versus second or third" (Romaniuk, 2023).
Wie finden wir die richtigen Assoziationen für unseren Brand?
Ein einfacher Prozess zur Evaluation von CEPs kann wie folgt aussehen:
Schritt 1: Category Entry Points identifizieren
Hier bietet sich die Verwendung des W-Frameworks an:
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Beispiel: Wir sind ein Headset-Hersteller, der leistungsstarke Kopfhörer direkt an Unternehmen verkauft (B2B).
Mögliche W’s könnten sein:
- Wann: Während lauter Stosszeiten im Büro
- Wo: Homeoffice und Grossraumbüro
- Während: Wichtiger Videokonferenzen
- Mit was: Kompatibel mit allen gängigen Laptops
- Warum: Reduziert Missverständnisse im Business-Alltag
- Wie Gefühl: Professionell und klar kommunizieren
- Mit/für wen: IT-Abteilungen
Zum Sammeln von CEPs bieten sich verschiedene Methoden an:
- Internes "Experten"-Panel: Hier wird das Wissen von Team-Mitgliedern gezielt abgefragt
- Desk Research: In diesem Fall werden Berichte, Customer Service Insights, Marktforschung etc. auf CEPs abgesucht
- Online Data Mining: Suchbegriffe, Kundenreviews oder Social Media Interaktionen können Aufschluss über mögliche CEPs geben
- Interviews: Bei dieser Methode werden Kategorie-Käufer (Kunden, sowie Nicht-Kunden) zu W's befragt
Schritt 2: CEPs priorisieren
Nachdem nun eine lange Liste mit möglichen CEPs vorliegt, müssen diese der Wichtigkeit nach priorisiert werden. Das Ehrenberg-Bass Institute schlägt folgende Kategorisierung vor:
- Glaubwürdigkeit: Analysieren, ob gewisse CEPs aufgrund der Markenhistorie weniger tragfähig sind (und eliminieren)
- Wettbewerbsfähigkeit: CEPs entfernen, die durch hohe Wettbewerbsdichte weniger effektiv sind
- Gemeinsamkeit: CEPs mit geringem Umsatzpotenzial oder seltener Relevanz priorisieren und ggf. abwerten
Den letzten Punkt würde ich als Umsatzrelevanz umbenennen, da mir dies sinngemässer erscheint.In diesem Schritt könnte man Stakeholder unabhängig voneinander bitten, die Wichtigkeit der jeweiligen CEPs auf den drei Dimensionen auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 3 (hoch) zu bewerten. Die Liste könnte dann für besagte Headsets etwa so aussehen:
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Zwei CEPs stechen hier besonders hervor: Störungsfreie Videokonferenzen und die Rauschreduzierung. Auf diese Category Entry Points würde sich der Headset-Hersteller nun primär fokussieren.
Schritt 3: Category Entry Points aufbauen
Wir möchten nun diese beiden Assoziationen in den Köpfen potenzieller Kundinnen und Kunden stärken. Gemäss 95/5 Regel sind 95% der Zielkunden in diesem Quartal nicht kaufbereit. Besonders bei diesen Kunden möchten wir die beiden Verknüpfungen stärken. Wie Romaniuk schreibt:
"Once you have decided on the CEPs you want to build, look for opportunities to: Link them to the brand in customer touchpoints, such as advertising, websites or brochures. Highlight them for sales and service staff to incorporate into their conversations with current and potential customers" (Quelle)
Ziel ist es, über die Zeit möglichst starke (positive) Verknüpfungen zum Brand herzustellen. Je grösser und frischer das assoziative Netz (= je mehr relevante und starke CEPs), desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde den Brand in einer Kaufsituation erinnert.
Das Headset Unternehmen könnte nun z.B. Werbekampagnen schalten, die gezielt auf die beiden wichtigsten CEPs abzielen. Ein Beispiel (mit bescheidenen "Design"-Skills) könnte so aussehen:
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Mit regelmässiger Wiederholung und gutem Creative schleift sich dieses Coupling im Idealfall im Kopf eines potenziellen Kunden ein. Sollte der Kunde nun “in-market” kommen, wird das Muster aktiviert und der Brand kann erinnert werden. Daraus kann dann eine mögliche Kaufsituation entstehen.
Zusammenfassung
Mental Availability beschreibt die Fähigkeit einer Marke, in Kaufsituationen spontan erinnert zu werden. Sie basiert auf der Verknüpfung der Marke mit relevanten „Category Entry Points“ (CEPs), also typischen Nutzungssituationen und Bedürfnissen der Kunden. Diese Assoziationen werden durch gezielte Wiederholungen in Werbung und Markenkommunikation gestärkt.
Unternehmen können Mental Availability systematisch aufbauen, indem sie CEPs identifizieren, priorisieren und strategisch in ihre Marketingmassnahmen integrieren. Eine starke mentale Verfügbarkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden die Marke im entscheidenden Moment wahrnehmen und kaufen.
Beratung anfragen
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Autor: Kevin Sturm
Founder & Growth Lead
Liest, schreibt und denkt gerne über fundamentale Wachstumsfragen nach
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